29December 2004
The Gibbon Experience
Los geht’s
Eigentlich sollte es um 7.30 Uhr losgehen, damit die vorherigen Baumhausbesucher noch den Bus nach Luang Namtha erwischen. Bis Jeff jedoch noch dieses und jenes erledigt hatte war es 9 Uhr. Andreas zog die Ladefläche des Jeeps als Sitzplatz vor, da es auf der Rückbank mit vier Westlern verdammt eng geworden wäre. Doch er blieb mit den Lebensmitteln nicht lang allein. Vier Laoten stiegen zu und nutzten sowohl Andreas als auch die Reissäcke als Schlafsofa.
Die ersten 80 km der Road Nr. 3 waren easy, zwar dirt road aber nur hier und da ein Schlagloch. Andreas Empfinden auf der ungefederten Ladefläche war allerdings ein anderes: wahre Erdkrater lauteten seine Worte . In der Regenzeit kann der Trip von Houay Xai nach Luang Namtha, 200 km, schon mal drei Tage (!) in Anspruch nehmen!
Ein großzügiges Ausweichmanöver unserer Fahrerin (!) führte durch einen Graben mit spitzen Steinen. Auf der Ladefläche machten alle einen gewaltigen Satz und kurz darauf vernahmen wir ein eindeutiges Zischen: ein Reifen war platt wie eine Flunder. Doch das gehört hier bei Überlandfahrten zu den kleinsten Problemen. 20 Minuten später ging es mit dem Ersatzreifen weiter.
Für die letzten 14 km verließen wir die Road Nr. 3. Bevor es durch den Fluss ging, deutete mir unsere Fahrerin die Türe noch mal schwungvoll zuzuschlagen, damit nicht gleich das Wasser reinläuft! Bergauf, bergab holperten wir die letzten Kilometer bis zum Hmong-Dorf. Bis wir ankamen war 12 Uhr vorbei, die Kanadier würden den Bus nach Namtha wohl nicht mehr erreichen….
Party in the village
Jeff erzählte uns, dass im Hmong-Dorf eine Party im Gange sei, an der wir ein halbes Stündchen teilnehmen müssen; d.h. er muss, wir dürfen. Ein Dorfbewohner, dem es vergangenes Jahr finanziell sehr schlecht ging, hatte sich wieder von seinen Schwierigkeiten erholt. Um dies dem ganzen Dorf zu demonstrieren, hat er ein Schwein geschlachtet und alle Dorfbewohner eingeladen.
In der Hütten standen zwei niedrige Tische und wir nahmen auf den darum herum liegenden Baumstämmen Platz. Es gab vertraute Speisen, wie z.B. Laab und Klebreis aber auch Unbekanntes wurde uns zum Probieren angeboten. Z.B. eine kleine runde Frucht mit gelbem Fruchtfleisch. Uuuuuh, diese Frucht war einerseits sauer, andererseits extrem bitter. Bääh, äußerst gewöhnungsbedürftig!
In einem riesigen Wok, fast bis zum Rand mit Öl gefüllt, wurde über einem Feuerchen das Schweinefett frittiert. Von so einem Schwein wird kein einziges Stückchen verschwendet! Alles ist – wenn auch nicht für uns – essbar! Von der Decke baumelten zwei halbe Tiere, für uns ein recht ungewohnter Anblick.
Hunde haben in den Hütten nichts verloren wie auch die beiden verspielten Welpen schmerzhaft lernen mussten. Sobald die Hausherrin die beiden unter dem Tisch erspäht hatte, wurden sie mit kräftigen Tritten Richtung „Türe“ befördert. Es tat mir in der Seele weh, wie es einer der beiden einfach nicht über die „Türschwelle“ schaffte und erbarmungslos Tritt auf Tritt folgte. Das klägliche Jaulen übertönte jedes Gespräch.
Cable Network
Man kann ein 40 Meter hohes Baumhaus über eine Leiter mit unzähligen Sprossen erklimmen. Keine Frage!! Aber man kann es auch viel bequemer erreichen . Nachdem wir eine Stunde die Hügel hinaufgestapft waren, erreichten wir die erste Stahlseil-Plattform. Das Seil führt direkt in das 100 Meter entfernte Baumhaus. Spannend! Ich hatte ja tatsächlich geglaubt, das würde wie auf den Spielplätzen meiner Kindheit funktionieren. Man schnappt sich das vom Stahlseil hängende „Dreieck“ und los geht’s. Hatte schon am Abend zuvor ernsthaft überlegt ein paar Liegestützen einzuschieben, damit mir unterwegs die Kraft nicht ausgeht…. Nein, nein, alles halb so wild!! Damit niemand einer 40 Meter Abgang hinlegt, bekommt jeder einen Klettergurt, eine Rolle wird auf das Stahlseil geklinkt, der Karabiner an der Bandschlinge in die Rolle geklinkt und schön zugeschraubt und zuguterletzt eine Selbstsicherung, die gleichzeitig als „Bremse“ dient, ins Seil geklinkt. Und los geht’s!!
Tschuuuuuuummmm!!! Irre!!!! Ich war noch nie in einem Hochseilgarten, aber ich mir sicher, durch den Wald Richtung Baumhaus zu flitzen ist 1000 Mal geiler!
Das Baumhaus
Wir hatten unsere Unterkunft für die nächsten Tage schon auf Werbepostern gesehen, doch im weichen Nachmittagslicht wirkte das Baumhaus noch viiiiel paradiesischer! Auf der Hauptplattform befindet sich eine kleine Spüle und 8-10 Leute können hier bequem sitzen. Ansonsten gibt es noch drei Schlafplattformen, wobei die oberste, die Luxury Suite, einen gigantischen Ausblick vom Bett aus bietet.
Ein Bad gibt es natürlich auch. Die Toilette ist äußerst simpel. Man schiebt eine bewegliche Planke ein Stück zur Seite und schon ist ein ca. 30×30 cm Loch entstanden. 40 Meter tiefer blickt man in eine ausgehobene Jauchegrube. Sozusagen ein Plumpsklo mit verspätetem Aufschlag. Und selbst eine Dusche steht zur Verfügung! Für manche ist diese allerdings mit einigem Nervengeflatter verbunden. Da das Wasser ja irgendwie abfliesen muss, steht man auf einem hölzernen Gitter mit perfektem Tiefblick (Hi Ute, ein bisschen wie auf dem Tetraeder in Bottrop!). Jeff hopste zwar wie ein Wilder auf diesem Holzgitter herum, als er manch zweifelnden Blick sah….. doch ich glaube einige Baumhäusler haben dem Duschboden trotzdem nicht über den Weg getraut und stattdessen eine Katzenwäsche vorgezogen.
Jeff and the®evolution
Es dürfte wohl niemanden überraschen, dass in Laos viel gewildert wird. Z.T. für Nahrung, z.T. für die Zutaten heimischer Medizin, meist jedoch für den Export. Wildern ist offiziell natürlich auch in Laos verboten, doch wenn es keiner kontrolliert…. Ja, genau dies versucht Jeffs mit dem Gibbon-Experience Projekt zu erreichen. Mit diesem Geld werden u.a. alle Parkwächter bezahlt, um das Wildern einzudämmen.
Jeff – eigentlich Jean-Francois – ist, abgesehen von einer 3-jährigen Unterbrechung, seit 10 Jahren in Laos. 1994 unterrichtete er den Premierminister in Statistik und Wirtschaft, weitere Minister folgten als Schüler. Dies erklärt auch, warum er als falang (=Fremder; dieser Begriff wird heute für alle Westler verwendet. Er stammt aus der Zeit der französischen Kolonialisierung. Die Laoten, v.a. Kinder, konnten Francais nicht aussprechen, sie sagten falang) das exklusive Nutzungsrecht für 100.000 Hektar Wald erwerben konnte.
Jeff hat jahrelang als Consulter für verschiedene NGOs gearbeitet. Er kennt die Pros und Contras!! Nun hat er seinen Superposten an den Nagel gehängt um sein Projekt zu verwirklichen. Was vielleicht ein bisschen wie die Verwirklichung eines Kindertraumes klingt basiert tatsächlich auf einem konkreten Plan – dessen gesamtes Ausmaß wohl nur Jeff kennt, the so-called (r)evolution – und natürlich auf seinem Wissen und seinen Erfahrungen im Bereich conservation. Und wenn es einer versteht die locals miteinzubinden, dann er! Die Guides, die er beschäftigt sind alle Hmongs aus den umliegenden Dörfern und Jeff weiß auch, dass er ohne die Zustimmung von Mr. Champak, the master of the forest und eines der drei (!) Dorfoberhäupter, sein Gibbon Experience Projekt nicht durchziehen könnte.
Willy – MC Treehouse
Willy ist ein ca. 3 Monate alter Baby-Gibbon, dessen Mutter von Wilderern geschossen wurde. Als er auf dem Markt zum Verkauf – für was auch immer – angeboten wurde, beschloss Jeff ihn großzuziehen und in seinem Wald wieder auszuwildern.
Willy – MC Treehouse – kann niemand wiederstehen! Er turnt mit einer Leichtigkeit durch das Baumhaus und die umliegenden Wipfel, dass jeder Kletterer vor Neid erblasst. Genüsslich schlabbert er Papaya, Ananas und Sonnenblumenkerne. Allerdings verliert er zunehmend die Lust an seinem Platz zu essen, in Gesellschaft ist es viel lustiger, noch dazu wenn er von Andreas die Sonnenblumenkerne geschält bekommt!
Nach einem ausgiebigen Mahl und wiederholtem Strullen – hier ist manchmal Deckung angesagt! – sucht er sich ein gemütliches Plätzchen zum Schlummern. Er kommt auf den Schoß geklettert, schmiegt sich an einen und schließt die Augen. Fast immer legt er einem ein Ärmchen um den Hals, weniger als Liebesbeweis als aus Instinkt: immer schön festhalten! Nur ganz selten fühlt er sich so sicher, dass er beide Ärmchen hängen lässt. Wir kinderlosen Traveller hätten Willy alle am liebsten adoptiert.
Am Spätnachmittag machte er sich davon und ward bis zum frühen Morgen nicht mehr gesehen. Dann wollte er allerdings kuscheln und wer es wagte ohne Moskitonetz zu schlafen, wurde um 6 Uhr von ihm geweckt und so lange bearbeitet bis er seine Streicheleinheiten bekam.
Wusstet ihr, dass Gibbons singen? Sie tun es, wirklich! Wenn wir uns gegen 10 Uhr an die Stahlseile klinkten, schwang sich Willy in die Baumwipfel und sang. Unvergesslich!!!!
Night Walk
Nachdem wir eifrig von Stahlseil zu Stahlseil – das längste ist über 300 Meter lang – geflogen sind, wollte uns Jeff zeigen, wo er mit der Hilfe der Hmongs Baumhaus 2 +3 errichten wird. Außerdem gibt es da noch ein paar Stahlseile, die wir noch nicht kennen . Wie Andreas geschrieben hat wurde dieser kleine Extrakringel zur ausgedehnten Nachtwanderung. Die erste Stunde nach Einbruch der Dunkelheit stolperten wir im Licht des nahezu noch vollen Mondes durch den Wald. Doch um so dichter der Wald wurde, desto finsterer wurde es. Wir sahen nichts mehr. Ich musste immer an diese 1,5 Meter lange grüne Schlange mit gelben Zeichnungen denken, die hier durchaus unterwegs und für uns tödlich giftig ist. Ich bemühte mich trotz allen Stolperns nicht im Reflex irgendwelche Äste zu ergreifen, die sich dann evtl. als eben dieses grüne Wesen entpuppen könnten. Als Jeff die Bambusfackeln in Brand setzte musste ich unwillkürlich an Tiger denken, auch wenn mein mehrmonatiger Dschungelaufenthalt nun schon über 10 Jahre zurückliegt. Tiger sind hier sicherlich nur noch vereinzelt anzutreffen, doch Feuer (auch Fackeln???) hält sie fern. Als mir Andreas später erzählte, dass Jeff von Tigern sprach als nur noch er, Marianne und Andreas auf dem einem Baumhaus waren, war ich nicht wirklich verblüfft! Auf jeden Fall waren wir alle glücklich und hungrig als wir zwei Stunden später wieder im Baumhaus einflogen!
Time to move on
Das Baumhaus, ein Platz an dem die Tage im wahrsten Sinne des Wortes wie im Fluge vergehen. Obwohl wir schon einen Tag länger geblieben sind, erschien der Abschied viel zu früh. Ein letztes Mal durch den Wald fliegen, dann ließ sich der Abstieg ins Hmong-Dorf nicht weiter hinauszögern. Wir kommen wieder (wie an so viele andere schöne Orte, seufz), nein, hierher bestimmt!
Marianne wusste, dass drei von uns weiter Richtung Norden wollten. Sie hatte versprochen, so mit den neuen Baumhäuslern anzukommen, dass wir noch den 12 Uhr Bus erwischen würden. Doch wir sind in Laos! Und hier kommen Fahrzeuge nicht zu einer bestimmten Uhrzeit an, sondern sie sind da, wenn sie um die letzte Kurve biegen.
Um 11 Uhr hatten wir das Dorf erreicht, vom Songtheo natürlich keine Spur. Wir machten es uns gemütlich bis uns 2 Stunden später das Motorbrummen aus unseren Tagträumen riss. Marianne meinte sogleich „I have really tried….“ – “We know!” Hier musste noch was abgeliefert, dort noch was abgeholt werden…. Bo pen njang (= no problem)! Irgendjemand wird uns schon mitnehmen und für drei Leute ist schließlich immer Platz. Und gegen 14 Uhr sollte sogar noch ein Bus nach Vieng Phouka vorbeikommen. Wir standen noch keine 5 Minuten an der Straße, gerade mal genug Zeit eine Cola zu ergattern (die Gelüste nach nur 3 Tagen im Baumhaus waren immens), als der Bus um die Ecke bog. Ups, so pünktlich?? Nein, es war der 12 Uhr Bus mit zwei Stunden Verspätung !!